Über die Seidenstraße rollten seine Busse schon viermal, von den Fahrten durch die Wüste Gobi sagt er fast ein wenig gelangweilt: "Jedes Mal wieder ein Höhepunkt." Nur wenn der 56-jährige Unternehmer Hans-Peter Christoph sein Lieblingsfoto anhimmelt, sieht er rot und ist gerade deshalb begeistert: Am rotbraunen Gestein der Atacamawüste vorbei gondelt ein roter Bus durch Chile - sein knallroter Setra 500.
Im April 2013 begann der Freiburger eine Pionierleistung, die 218 Tage dauern sollte. Er brach auf zur ersten kommerziellen Busweltreise. Klar haben schon andere vor ihm die Welt im VW-Bus umrundet, und natürlich gondeln immer wieder Fernbusse von einem Ende eines Kontinents zum anderen. Aber was gemäßigte Abenteurer bisher nicht buchen konnten, war eine durchorganisierte Tour im Reisebus, der 52.000 Kilometer von Freiburg bis nach Schanghai tuckerte, von dort mit dem Schiff nach Amerika übersetzte und im Dezember 2013 in Feuerland eintrudelte, von wo es mit dem Flieger zurückging.
Als Fernfahrer durch Europa
Christophs Konzept vom Fernreisebus hat eine Vorgeschichte. Schon seine ersten Pläne nach der Schule erschienen - zumindest den Eltern - abwegig. Nachdem er die Matura in der Tasche und den Zivildienst abgeleistet hatte, begann er nicht zu studieren, sondern bretterte einige Jahre lang als Fernfahrer durch Europa und in den Nahen Osten. Danach fing er doch noch ein Studium an, Islamwissenschaften, aus romantischer Liebe zu früheren Zielen mit dem Lkw. Sicherheitshalber erlernte er parallel dazu einen Brotberuf, den des Kochs. "All das musste ich tun, bevor mir endgültig klar wurde, dass ich nicht in einen Hörsaal oder an den Herd gehöre. Ich wollte wieder auf die Straße", sagt der Studienabbrecher und Ex-Gastronom.
1991 borgten sich er und sein Kompagnon Achim Clauß Geld von Bekannten für den ersten Reisebus. Die Bank wollte ihnen keines geben, obwohl Clauß bereits Erfahrungen in der Branche vorweisen konnte: in einem Busunternehmen mit dem originellen Namen "Trans Chaos" - vielleicht zu originell für Bankbeamte, die Kredite vergeben.
Ein knallroter Autobus
Schon ihr erster gemeinsamer Bus war knallrot. "Avanti" stand drauf, weil man den einschlägigen, ungekürzten Slogan ihrer Busreisen - "Avanti popolo!" - ja auch leicht missverstehen konnte. Was sie damit meinten: Es sollte selbstbestimmt "vorwärts!" gehen bei dieser Art des Reisens, die meist fremdbestimmt ist von öden Reiseleitern. Die beiden wollten nur solche Fahrten anbieten, die sie mit ihrem Gewissen vereinbaren konnten - also zum Beispiel in den Nahen Osten. Den Mythos von der Freiheit des Fernfahrens gab’s für die Generation 50 plus im Bus gratis dazu. Aber sie sollten ihn bequemer im Komfortsitz erfahren.
Auch im Weltreisebus saßen 22 Jahre später zwei Drittel Pensionisten, die sich dieses Abenteuer leisteten. Nur rund ein Drittel der Teilnehmer der Weltreise stand im Berufsleben und soll auf diese Weise Überstunden abgebaut haben, wie Christoph erzählt. Für den Gesamtreisepreis von 74.175 Euro durchfuhr man als Alleinreisender fünf Klimazonen in 26 Ländern auf vier Kontinenten. Doch wer kann diese Summe, ein Dreivierteljahr Freizeit, Urlaub oder eben 5160 Überstunden überhaupt aufbringen?
Einmal um die Welt, ohne zu fliegen
Eine 72-jährige Frau, die großen Wert auf Diskretion legt, konnte es. Sie war die Einzige, abgesehen von Christoph und seiner Frau, die die gesamte Strecke absolvierte. "Einmal um die Welt zu kommen, ohne fliegen zu müssen, das war ihr Traum", sagt der Busfetischist über sie. Alle anderen Fahrgäste reisten im Flieger zu einem der vier Etappenziele und konsumierten nur ein Stück vom Ruhm, den die Busweltreise versprach.
Doch große Versprechungen musste Christoph ihnen gar nicht machen: "Es gibt Leute, die eine Pauschalreise nur deshalb buchen, um später Reisemängel geltend zu machen. Die fahren aber zum Glück nicht mit dem Bus um die Welt." Dennoch war er wie immer auf seinen Reisen um die Gruppendynamik besorgt. Teilnehmern rät er grundsätzlich, offen heraus zu sagen, wenn sie keine Lust auf Smalltalk haben. Sein Resümee nach 52.000 Kilometern: "Das war eine sehr harmonische Gruppe. Man rauft sich zusammen."
Chauffeure, Mechaniker, lokale Reiseführer
Von seinen Stammbusfahrern wollte keiner ein Dreivierteljahr weg von zu Hause sein. Beworben haben sich dennoch viele Chauffeure für die Weltumrundung, darunter ein Maschinenbaustudent, der nur deshalb den Busführerschein machte, um dabei sein zu dürfen. "Wir konnten bei weitem nicht alle Bewerbungen berücksichtigen. Nur solche von Fahrern, die sich schon bewährt haben", sagt er.
Immer zwei Chauffeure, ein Mechaniker und zwei lokale Reiseführer waren pro Etappe an Bord, eng wurde es trotzdem nie. Christoph erhöhte den Sitzabstand enorm, sodass anstatt maximal 50 nur 22 zahlende Gäste mitreisen konnten. Er baute mehr Tischchen ein und versorgte jeden Platz mit Steckdosen, für das Arbeiten am Laptop: 220 Volt Spannung, die als einzige Zutat auf dieser Reise später für Hochspannung sorgen sollten.
Vor der Reise hörten sich Christophs Präferenzen für neue Horizonte ungefähr so an: "Unglaublich, aber ich war noch nie in den USA, noch nie in Amerika, in der Heimat der Fernbusse. Da freue ich mich besonders drauf." Und nach der Reise: "In Freiburg gehe ich aus dem Büro und bekomme im Umkreis weniger Meter zwanzig verschiedene hervorragende Espressi. Aber auf tausend Meilen in den USA kriegst du keinen einzigen Kaffee, den du trinken kannst."
Und weiter über Kanada: "In gewisser Weise langweilig. Auch ein Buschauffeur von mir, der immer dorthin auswandern wollte, kam gerade erst von dort zurück und meinte nach was weiß ich wie vielen Kilometern langweiliger Fahrt durch den Wald: ,Das mit der Auswanderei hat sich erledigt.‘" Woher der plötzliche Gesinnungswandel? Vielleicht hängt er mit folgendem Erlebnis zusammen.
Hochspannung vor Alaska
Nichts, aber schon gar nichts von Belang vermieste den Busweltreisenden das Leben auf der Straße, keine schwere Erkrankung, kein Überfall, kein Aufruhr. Nur über diesen einen US-Zollbeamten kann sich Christoph bis heute aufregen. Der Bus war bereits mit dem Schiff von Schanghai nach Alaska unterwegs. Danach hing alles von diesem Beamten ab, der sagte: Der Bus müsse exakt für den amerikanischen Markt gebaut sein. Europäische Standards würden nicht akzeptiert. Zum Beispiel hätten Busse in den USA nur eine Tür und bloß die halbe Stromspannung. So kämen sie nicht herein.
Eine sechswöchige Pause entstand durch die vereitelte Verschiffung nach Alaska. Alles lief über Anwälte, Christoph durfte beim Zoll gar nicht mehr erscheinen. Schließlich entschied er sich dafür, den Bus nach Kolumbien zu schicken. Er und seine Frau reisten trotzdem nach Anchorage, empfingen die neuen Buspassagiere, die mit dem Flieger gekommen waren, und gemeinsam tuckerten sie mit original amerikanischen Bussen bis nach Kolumbien. Berühmte Busse wie die von Carl Eric Wickman.
Greyhound begann als Pendlerbus
An der Geschichte dieses Schweden in den USA kann Christoph dennoch Gefallen finden. Sie gleicht der seinen an Pioniergeist und Rückschlägen. Der Einwanderer hatte 1914 den Job als Minenarbeiter verloren, danach versuchte er Autos an Ex-Kumpel zu verscherbeln. Doch eigene Wagen konnten sich amerikanische Arbeiter damals nicht leisten. Wickman setzte daher den einzigen Siebensitzer unter seinen Ladenhütern als Pendlerbus ein: Um 15 Cent brachte er zunächst Bergarbeiter vom Wohnort zur Mine. 100 Jahre später kennt jeder diese Mitfahrgelegenheit: Wickmans Greyhound ist der Mythos gewordene Fernbus.
"Mit dem Greyhound bin ich nie gefahren", sagt Christoph. "Ich denke mir lieber selber Routen aus und suche dann Leute, die Interesse daran haben." Auch beim Mythosaufbau zur ersten Weltbusreise legte er lieber selber Hand an. Er lud Journalisten auf Teiletappen ein und ließ einen höchst professionellen Blog für die Pionierfahrt erstellen, der weltweit verfolgt wurde. 20.000 Fans hatte der Blog alleine in China. Ein junger Chinese hat den Bus über das GPS-Signal geortet und sogar persönlich besucht. In Chile wurde der knallrote Autobus an jedem Ortseingang empfangen. "Man kann die Busweltreise als erfolgreich bezeichnen und jetzt theoretisch jährlich anbieten, unternehmerisch wäre das drin. Aber wozu?", fragt sich der Pionier.
Nach dem Warum und Wozu hätten argentinische Journalisten auch gerne die 72-Jährige befragt, die als Einzige den ganzen Weg bis nach Feuerland zurückgelegt hat. Aber die war schon weg, hatte immer noch nicht genug und saß auf einem Containerschiff zurück nach Deutschland. (Sascha Aumüller, Rondo, DER STANDARD, 24.10.2014)