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Klimawandel Flug nach San Francisco - fünf Quadratmeter Arktiseis weg

Ein Flug von Frankfurt nach San Francisco und zurück lässt fünf Quadratmeter Arktiseis verschwinden. Pro Passagier. Ein deutsch-amerikanisches Forscherduo macht jetzt diese genauso simple wie verstörende Rechnung auf.
Boeing B747-400 im Flug über Grönland

Boeing B747-400 im Flug über Grönland

Foto: imago/JOKER

Ich reise wirklich gern. Manchmal denke ich, es hat mit meiner Herkunft zu tun. DDR-Kind und so. Vielleicht ja auch nicht, ich bin jedenfalls gern unterwegs. Auch mit Flugzeugen. Gleichzeitig begeistere ich mich für die eisigen Weiten der Arktis. Dumm nur, dass beides so gar nicht zusammenpasst.

Fernreisen mit dem Flugzeug sind schließlich die mit Abstand klimaschädlichste Art der Fortbewegung. Gleichzeitig trifft der Klimawandel die Nordpolarregion mehr als jede andere Gegend des Planeten.

Flugzeuge stoßen nicht nur große Mengen Kohlendioxid aus, das in hohen Atmosphärenschichten besonders stark wirkt. Auch Stickoxide entstehen bei der Verbrennung des Treibstoffs - und die Abgase der Maschinen lassen auch Wolken entstehen, die Wärmestrahlung wieder zur Erde reflektieren. Dirk Notz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg und seine Kollegin Julienne Stroeve vom National Snow and Ice Data Center in Boulder (US-Bundesstaat Colorado) rechnen im Wissenschaftsmagazin "Science"  gerade eindrücklich vor, welche verhängnisvolle Wirkung selbst ein einziger Transatlantikflug hat.

Aus Daten der Jahre zwischen 1953 und 2015 haben die beiden eine Vorhersage zur Zukunft des arktischen Eises entwickelt. Der Zusammenhang, den sie vorstellen, ist genauso simpel wie verstörend: Für jede Tonne CO 2, die irgendwo auf der Erde freigesetzt wird, etwa durch das Triebwerk eines Jets, verschwinden weitere drei Quadratmeter sommerliches Eis in der Arktis. Oder noch konkreter: Ein Flug von Frankfurt nach San Francisco und zurück lässt fünf Quadratmeter im hohen Norden schmelzen. Und zwar pro Passagier.

"Bisher hat sich der Klimawandel immer irgendwie abstrakt angefühlt. Unsere Ergebnisse stellen dieses Gefühl fundamental in Frage", sagt Forscherin Stroeve. Die Rechnung der Forscher ist dabei noch sehr konservativ, denn die erhöhte Klimawirkung des CO 2, das in rund elf Kilometern Höhe ausgestoßen wird, wird darin nicht einmal berücksichtigt.

Stroeves Kollege Notz erklärt den Zusammenhang, der der aktuellen Arbeit zugrundeliegt: Die genaue Position der Eiskante in der Arktis werde letztlich durch die lokal auftreffende Wärmemenge bestimmt.

Eisbär an der Baffin Bay in Kanada (2008)

Eisbär an der Baffin Bay in Kanada (2008)

Foto: Jonathan Hayward/ AP

Ist diese Wärmemenge zu groß, existiert nur noch flüssiges Wasser. Ist sie zu klein, gibt es festes Eis. Die Wärme setzt sich nun aus zwei Teilen zusammen. Da ist die langwellige atmosphärische Strahlung, die ihren Ausgangspunkt am Boden hat und durch Treibhausgase wie CO 2, aber auch Wasserdampf wieder in Richtung der Erde zurückgestrahlt wird. Diese legt mit dem Treibhauseffekt an Kraft zu.

Selbst Zwei-Grad-Ziel hilft Meereis nicht

Die zweite Komponente ist die kurzwellige Strahlung, die direkt von der Sonne auf die Erde kommt. Nimmt jetzt die Menge der atmosphärischen Strahlung durch den fortschreitenden Treibhauseffekt immer mehr zu, weicht der Eisrand Stück um Stück nach Norden zurück - um in Gebiete mit möglichst geringer Solarstrahlung zu kommen. Dabei nimmt die Fläche des Eises ab.

"Aus geometrischen Gründen ergeben diese Prozesse den beobachteten, linearen Zusammenhang", so Notz. Tendentiell neige er dazu, solchen Extrapolationen zu misstrauen, sagt der Forscher am Telefon. Aber in diesem Fall sei er sich sicher: "In den Erklärungen ist kein Faktor drin, der sich in den kommenden Jahren ändern dürfte."

Bei seinem diesjährigen Minimum am 10. September lag die Ausdehnung des arktischen Meereises bei 4,14 Millionen Quadratkilometern. Das heißt, dieser Sommer war wieder einmal weit unterdurchschnittlich, was die Fläche angeht. Der Negativrekord des Jahres 2012 wurde aber nicht erreicht. In den vergangenen Wochen hat sich das jedoch geändert: Seit Mitte Oktober ist die Eisausdehnung in der Arktis so gering wie noch nie zuvor zu dieser Jahreszeit.

Notz und Stroeve sagen klar: Laut ihrer Rechnung wird zumindest das sommerliche Meereis in absehbarer Zeit ganz verschwinden, etwa bis zur Mitte des Jahrhunderts, vielleicht sogar noch früher. Und das im Klimavertrag von Paris festgelegte Ziel, die Erderwärmung solle zwei Grad über den vorindustriellen Temperaturwerten nicht überschreiten, werde die weiße Pracht auch nicht retten.

Nur wenn es gelänge, den Anstieg auf anderthalb Grad zu begrenzen, hätte das Eis überhaupt noch eine Chance, so die Forscher. Die Menschheit hat aber beim aktuellen Tempo des Klimagasausstoßes bereits Mitte des kommenden Jahrzehnts keine Möglichkeit mehr, dieses Ziel zu erreichen.

Mein letzter Transatlantikflug ist übrigens erst ein paar Tage her. Der nächste ist schon gebucht. Klar, man könnte zum Schutz des Klimas CO 2-Zertifikate kaufen. Doch die Kompensationsmaßnahmen sind in ihrer Wirkung umstritten.

Vielleicht wäre es trotzdem gut, wenn Fliegen im Sinne des Klimas mehr kosten würde. Das arktische Eis hätte so womöglich noch eine Chance. Und ich würde manchmal dann doch zu Hause bleiben.

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